Realitätstest für Bildungsideale

Am St. John’s College in Annapolis, Maryland gibt es einen Studiengang in dem Universalgelehrte für das 21. Jahrhundert ausgebildet werden.

Das Curriculum umfasst die „great books“ der westlichen Kultur, was beim näheren Hinschauen zwar eine charaktervolle, deutliche Schwerpunktsetzung ist, allerdings auch wenig zukunftsweisend anmutet. (Dem wirkt man inzwischen jedoch tatsächlich entgegen mit einem eigenen „Eastern Classics Curriculum“, das am Standort Santa Fe, New Mexico angeboten wird.)

„Such education seeks to free men and women from the tyrannies of unexamined opinions and inherited prejudices. It also endeavors to enable them to make intelligent, free choices concerning the ends and means of both public and private life.“

Soweit so gut, man liest sich durch die Website des St. John’s College und schwelgt in dem verheißungsvollen Gedanken sich ohne aufwändige, aber letztlich sinnentleerte Aufgaben während des Studiums wirklich voll und ganz der eigenen Bildung zu widmen. Und fragt sich doch sehr, ob das überhaupt funktioniert und zu welchem Ende man auf diese Weise studieren soll.

Wie studiert man überhaupt und warum? Im Laufe meines Studiums bin ich zwei verschiedenen Arten von Professoren begegnet: denjenigen, die sich stark auf praktisches Wissen konzentrieren und bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die Möglichkeiten des Arbeitsmarktes verweisen – und denjenigen, die den Geist des eigenen Denkens beschwören und dazu ermuntern den eigenen Leidenschaften zu folgen. Dazu muss man sagen, dass ich mit der Auswahl meiner zwei großen Studienschwerpunkte Jura und Philosophie vielleicht auch selbst sehr stark dazu beigetragen habe Extreme in dieser Hinsicht zu erleben. Und retrospektiv betrachtet war das sogar die fruchtbarste und wichtigste Sache, die ich in meinem Studium im wahrsten Sinne des Wortes erfahren habe.

Der Widerspruch zwischen beiden Ansätzen war mir jedenfalls nie ganz klar. Wenn man pragmatisch und intelligent ist, dann wird man doch immer versuchen mit dem, was einen interessiert und wofür man Begabungen hat, auch seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, alleine deswegen, weil unsere Lebensumstände dafür sorgen, dass wir viel Zeit mit unserem Beruf verbringen. Und umgekehrt habe ich nur sehr wenige Leute gesehen, die eine Sache konsequent durchziehen, die nicht auch in Einklang mit ihren persönlichen Idealen steht – in einem solchen Fall von Konsequenz zu sprechen erschiene mir jedoch auch unangemessen.

Dennoch: es erscheint mir durchaus problematisch zu sein, wenn einem Lehrende während der Ausbildung (zumindest unterschwellig) den Eindruck vermitteln als würde es gegen das wissenschaftliche Ethos verstoßen, wenn man sich Gedanken darüber macht, wie man später sich und seine Familie ernähren möchte.

Und letztlich: was habe ich davon, wenn ich nur kritisch und mündig bin – wäre es nicht viel wichtiger, dass auch die manchmal so genannten „Fachidioten“ kritischer und mündiger sind?

Heinz Elmar Tenorth hat es jüngst in einem Interview mit der Zeit auf den Punkt gebracht:

„Ich habe noch keinen Kritiker der neuen Studiengänge kennengelernt, dem es im Studium nur um seine intellektuelle Qualifikation ging. Die wollten doch auch alle eine Stelle haben, nämlich Professor werden. Die Studenten haben ein Recht auf ein marktkonformes Zertifikat!“

Und tatsächlich:  auch das St. John’s College, dem es doch darum geht die Studenten zu Denkern und Freien zu erziehen, ist, wir ein Video auf der Website beweist, fest davon überzeugt, dass  in der „freien Wirtschaft“ ein Bedarf für die Absolventen des „Liberal Arts Program“ besteht.

Am Rande sei bemerkt, dass die „freie Wirtschaft“ ein Ausdruck ist, der nach meiner Erfahrung nur von den absoluten Verfechtern des Ansatzes der „reinen Ideale“ verwendet wird, jedoch nie von denjenigen, die ihr Fach mit den praktischen Möglichkeiten des Gelehrten bewerben.

Da kann man wohl nur sagen: studiere und lerne, was Du willst – und kannst.

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